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Ein Grieche vermisst die Erde

Salopp gesprochen könnte man den Griechen Eratosthenes ohne Übertreibung als den Albert Einstein der Antike bezeichnen. Mathematiker geraten geradezu in Verzückung, wenn sie seinen Namen hören. Und das ganz zu Recht. Eratosthenes lebte bereits vor fast 2.300 Jahren. Er muss ein ungewöhnlich scharfsinniger Mann gewesen sein. Von Hauptberuf war er Bibliothekar in der berühmtsten Bibliothek der Antike, in Alexandrien, die später ein Mob religiöser Eiferer angezündet hatte. Dass er ein Denker der Superlative war, verrät schon sein griechischer Spitzname "Penthalos", was Fünfkämpfer bedeutet: Er war Mathematiker, Geograph, Dichter, Historiker und Philologe. Eratosthenes vollbrachte allerlei mathematische Kabinettstückchen der Sonderklasse. So erfand er z.B. ein Verfahren zur Primzahlenbestimmung, das noch heute seinen Namen trägt: Das "Sieb des Eratosthenes". Es wird noch unverändert in den Schulen gelehrt. Doch unter den Zeitgenossen gab es natürlich auch Neider. Sie nannten ihn boshaft "Beta" und wollten damit sagen, dass er in einer Wissenschaftsdisziplin eben nur der Zweite gewesen sei. Doch das war nur tumber Kollegenneid, denn von einem "Alpha" aus seiner Zeit ist nichts bekannt.

Der Name Eratosthenes ist untrennbar mit der ersten Berechnung des Erdumfangs verbunden. Heute wissen wir, dass der Erdumfang über die Pole gemessen exakt 40.008 km beträgt. Eratosthenes kam auf 39.744 km. Damit hatte er voll ins Schwarze getroffen. Von der wahren Größe der Dinge hatte man damals nicht die geringste Ahnung. Anaxagoras von Klazomenai schätzte noch, dass die Sonne an Ausdehnung gewiss die Größe des Peloponnes übertreffen würde.

Bestimmung des Erdumfangs

Über das, was schon lange her ist und von dem es auch keine genauen Angaben gibt, werden gerne Legenden erzählt. Daher liest man immer wieder die Geschichte von einem Brunnen in Syene, in dessen Wasser Eratosthenes das Spiegelbild der Sonne gesehen hätte als er zufällig am 21. Juni in den Brunnen hinunter blickte. Die Geschichte ist aber so gut erzählt, dass ich sie hier gelten lassen möchte. In Alexandrien warf der berühmte Obelisk immer einen Schatten. Natürlich wusste Eratosthenes, dass am Sommersonnen-Wendetag, also am 21. Juni, die Sonne wieder nach Süden zu wandern beginnt, weswegen die Schatten immer länger werden. An diesem Tag sind die Schatten am kürzesten. Der Winkel des Schattens beträgt genau 7,5°. Das ist der 48. Teil eines Vollkreises. Da kein Gegenstand in Syene an diesem Tag einen Schatten warf, so folgerte er, müsse die Strecke zwischen Syene und Alexandrien der 48. Teil des Erdumfanges sein. Syene, das war bekannt, ist von Alexandrien etwa 828 km entfernt. Somit kam er auf den erstaunlich genauen Wert von 39.744km.

Leider ging das Wissen von der richtigen Größe der Erde verloren und man glaubte, dass sie viel kleiner sei. Das war aber ein Glücksfall, denn hätte Kolumbus gewusst, dass der Atlantik in Wirklichkeit über dreitausend Kilometer breiter war, hätte er die Entdeckung Amerikas bestimmt um einige Jahre verschoben.

Wissen kompakt

  • Der Grieche Eratosthenes berechnete als erster den Erdumfang. Eratosthenes war der Bibliothekar der bedeutensten Bibliothek der Antike. Diese Bibliothek befand sich in Alexandrien. Der Auftrag der Bibliothek war, das Wissen der antiken Welt zu sammeln.
  • 2.000 der besten Köpfe der Antike machten systematische Studien der Mathematik, Physik, Biologie, Astronomie, Geographie und Medizin. Zur Zeit der Bibliothek war Alexandria das geistige Zentrum der Welt.
  • Auch das Alte Testament in der uns bekannten Fassung geht weitgehend auf die in der Alexandrinischen Bibliothek angefertigten griechischen Übersetzungen zurück. Hier liegen ohne allen Zweifel die Ursprünge der modernen Welt. Berechnung des Umfangs der Erde durch Eratosthenes.
  • Als Bibliothekar hatte er Zugang zu wichtigen Aufzeichnungen.
  • Aus Aufzeichnungen wusste er, dass sich am 21. Juni die Sonne in einem tiefen Brunnen in Syene nahe der heutigen Stadt Assuan in Oberägypten spiegelt. In seiner Heimatstadt Alexandria warf der Obelisk einen Schatten von 7,5°. Dies war ein weiterer Beweis, dass die Erde eine Kugel sein musste.
  • Syene liegt ungefähr am Wendekreis des Krebses, also dort, wo die Sonne an einem Tag im Juni direkt im Zenit steht und keinen Schatten mehr wirft.
  • Da er die Entfernung von Syene und Alexandria kannte, war es mathematisch nicht besonders schwer, aus den Angaben, die er zur Verfügung hatte, den Umfang der Erde zu berechnen, das Geniale aber liegt - wie so oft - in der Einfachheit.
  • Es handelt sich um korrespondierende Winkel. 7,5° sind in den 360° eines ganzen Kreises achtundvierzigmal enthalten. Demnach beträgt der Umfang der Erde 48mal 828 Kilometer, also 39.744 Kilometer.
  • Mit diesem Ergebnis hatte Eratosthenes fast einen Volltreffer gelandet, denn er lag nur wenige Meter neben dem richtigen Ergebnis.

2010 © Alexander von Behaim-Schwartzbach