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Die Sonnenfinsternis von Babylon im Jahre 136 v. Chr.

Im Britischen Museum in London liegt eine merkwürdige Keilschrifttafel aus Assyrien (Irak). Sie ist exakt 2139 Jahre alt. Auf ihr wird eine totale Sonnenfinsternis beschrieben.

Es nicht schwer, die Daten von Sonnenfinsternissen zu berechnen, selbst solche die schon weit zurückliegen. Doch das eigenartige an dem assyrischen Bericht ist, dass es damals in Babylon überhaupt gar keine Sonnenfinsternis gegeben haben konnte. An diesem Tag hatte zwar eine Sonnenfinsternis stattgefunden, das ergaben die Berechnungen, doch diese hatte über Mitteleuropa stattgefunden, einige tausend Kilometer weiter westlich. Irgend etwas stimmte hier also nicht. Es war das Computerprogramm, das sich verrechnet hatte. Man hatte nicht berücksichtigt, dass sich die Erde langsam, aber stetig, verlangsamt. In einem Jahrhundert beträgt die Verlangsamung gerade mal 2 Millisekunden, doch in den 21 Jahrhunderten hat sich die Verlangsamung der Erde auf fast 50 Millisekunden addiert Das hört sich nicht nach viel an, doch in seiner Auswirkung ist das schon dramatisch.

Die Finsternis hatte man auf den Balearen vermutetDie drei Himmelskörper - Erde - Mond -Sonne - stehen deswegen geringfügig relativ anders zueinander. Da die Erde sich um Bruchteile von Sekunden weiter verlangsamt hat, fällt der Mondschatten etwas weiter westlich auf die Erde. Der Computer hatte berechnet, dass der Kernschatten die spanischen Balearen hätte treffen müssen, doch auf der Keilschrifttafel stand ganz klar, dass der Kernschatten damals auf Bagdad gefallen war. Gibt man in den Computer die Werte der derzeitigen Winkelgeschwindigkeit und Bewegungen von Erde, Mond und Sonne ein, ergibt sich für jene historische Sonnenfinsternis ein völlig anderes Resultat. Was Laien verblüffen mag, war aber Astronomen schon seit Jahrhunderten bekannt. Obwohl die Chronometer Ende des 17. Jh. noch nicht so genau gingen, dass man die Verlangsamung der Rotationsgeschwindigkeit der Erde mit einer Uhr hätte nachweisen können, hatten die Astronomen schon vor dreihundert Jahren, einen extrem genauen kosmischen Taktgeber entdeckt, die Sternenbedeckung. 1695 bemerkte Edmund Halley, das der Mond nicht ganz dort stand, wo er eigentlich nach seinen Berechnungen hätte stehen müssen. Der Himmelskörper zeigte eine winzige Bahnunregelmäßigkeit. Halley kam auf die Idee, dass der Mond sich immer schneller um die Erde drehe - doch es war gerade anders rum: Der Franzose Pierre Simon de Laplace vermutete, dass es die Erde war, deren Rotation sich verlangsamte. Allerdings kannte er den Grund nicht. Es war Delaunay, der als Grund die Bremswirkung der Gezeiten vermutete, da die Mondanziehung eine Gezeitenwulst in den Ozeanen bewirke, die die Rotation der Erde hemme.

Wissen kompakt

  • Am 15.4.136 fand in Babylon eine totale Sonnenfinsternis statt. Dieses Ereignis wurde von einem Astronomen auf einem Keilschriftziegel festgehalten. Auf dem Lehmziegel stand, dass sich auf 24° eine Sonnenfinsternis begab. Bei ihrem Beginn konnte man Venus und Merkur sehen. Obwohl Jupiter und Mars nahe an der Sonne standen, konnte man auch sie sehen.
  • Allerdings ergaben die Computerberechnungen, dass sie nicht mit den Aufzeichnungen übereinstimmen konnten. Die Sonnenfinsternis aus dem Jahre 136 v.Chr. hätte nicht über Bagdad stattfinden dürfen, sondern nach der Computerberechnung 3h:25min später über Mallorca.
  • Die einzige Erklärung ist, dass der Mond sich schneller um die Erde dreht (Halley), oder die Rotationsgeschwindigkeit der Erde sich verlangsamt hat (Delaunay). Die Rotationsgeschwindigkeit der Erde verlangsamt sich in einem Jahrhundert um 2 Millisekunden.
  • Obwohl die Chronometer im 17. Jh. noch nicht genau genug gingen, um eine Verlangsamung der Erdrotation zu erkennen, hatte man das Prinzip der Sternenbedeckung erkannt, weswegen sich auch winzige Unregelmäßigkeiten in der Himmelsmechanik erkennen ließen. Doch niemand der Astronomen konnte dieses Phänomen erklären.
  • Als Grund für die Abnahme der Rotationsgeschwindigkeit vermutete Delaunay eine Bremswirkung der Gezeiten, in dem der von der Mondanziehung der in Gegenrichtung zur Erdrotation laufende Wasserberg der Gezeiten die Umdrehungsgeschwindigkeit der Erde verlangsame.

2010 © Alexander von Behaim-Schwartzbach